Wiens weltberühmte Pferde
Fiakerpferde sind Frühaufsteher. Um 7 Uhr früh startet der Arbeitstag in den Stallungen des traditionellen Wiener Unternehmens „Fiaker Paul“ in Simmering. Als wir um 8 Uhr vor der Tür stehen, herrscht schon geschäftiges Treiben. Die Stallburschen sind gerade dabei, die Pferde zu füttern, sie zu reinigen und „stadtfein“ zu machen. „Um 9 kommen dann die Fiaker. Die schauen, ob mit ‚ihren‘ Pferden und dem Equipment alles in Ordnung ist. Danach werden die Rösser vor die bis zu 140 Jahre alten Kutschen gespannt und machen sich auf den Weg in die Stadt“, erzählt Firmensprecher Christian Gerzabek, der gelegentlich auch selbst als Fiakerkutscher unterwegs ist.
Schnell fällt auf: Die Stallungen sind modern und top in Schuss, die Pferde neugierig und viele von ihnen richtig verschmust. Das kann auch jeder selbst erleben, denn Fiaker Paul bietet Backstage-Führungen an. Gerzabek: „Wir haben hier nichts zu verbergen. Es gibt viele Menschen, die den Pferden gerne nahe sein möchten. Und das können sie hier.“ Besonderes Zuckerl: Besucher können in den Kutschen mit in die Stadt fahren und auf der Strecke auch unbekannte Plätze in Wien kennenlernen. Um 11 Uhr schließlich stehen die herausgeputzten Pferde, Kutschen und Fiaker auf ihren Standplätzen in der City.
Applaus für Fiaker
Rund 80 Pferde hat Johann Paul. Die meisten kommen aus Ungarn. „Die wurden dort schon aufs Kutschenfahren trainiert“, erzählt er und ergänzt: „Das heißt aber noch lange nicht, dass sie in Wien auf der Straße fahren können.“ Das Training dauert zwischen fünf Monaten und einem Jahr – je nachdem, wie lernbegierig oder schreckhaft die Tiere sind. Zuerst wird am niederösterreichischen Landgut in Göttlesbrunn-Arbesthal geübt, dann im Schönbrunner Schlosspark (wo Johann Pauls Kutschen auch fahren). In die Innenstadt geht’s erst, wenn die Pferde auch wirklich straßenfit sind.
Fiaker und Pferde sind ein Team. Auf der Tür jeder Box ist vermerkt, ob das Tier rechts oder links eingespannt werden muss. Die Fiaker kümmern sich fürsorglich um ihre Tiere. „Während der Corona- Krise kamen viele unentgeltlich in den Stall, um ‚ihre‘ Pferde zu bewegen. Die Bindung ist sehr stark“, erzählt Gerzabek. Er selbst hat sich während des coronabedingten Fahrverbots etwas Besonderes einfallen lassen: „Wir haben mit drei Kutschen Gratis-Essen des Hotels Intercontinental im dritten Bezirk an Bewohner verteilt.“ Die Reaktion der Menschen war durchwegs positiv: „Wir bekamen Applaus. Ich hatte das Gefühl, dass die Wiener ihre Fiaker, die seit 1720 durch die Stadt kurven, lieben.“
Altersresidenz
Wie allen arbeitenden Menschen steht auch Pauls Fiakerpferden ein jährlicher Urlaub zu. Den verbringen sie im niederösterreichischen Göttlesbrunn- Arbesthal. Dort warten zehn Hektar Weide auf die Tiere. Dort ist auch die Altersresidenz für Pauls Pferde: „Rund 15 Jahre sind die Pferde im Dienst. Wenn wir dann merken, dass ihnen die Arbeit keinen Spaß mehr macht, werden sie ‚ausgemustert‘, damit die Tiere noch eine schöne Pension verleben können“, erklärt Gerzabek. Nachsatz: „Die verbringen die Tiere auch gemeinsam mit ihrem Fiaker-Buddy, mit dem sie jahrelang im Dienst waren. Die stehen auch auf der Weide immer zusammen.“
Eines fällt beim Abschied noch auf: Viele weiße Pferde stehen auf den Weiden in Niederösterreich und im Stall in Wien Simmering. Und wir erfahren: Viele davon sind Lipizzaner aus einer ungarischen Zuchtlinie. Es sind zwar nicht jene Lipizzaner, die in der Spanischen Hofreitschule auftreten, doch auf dem Fiakerstandplatz vor der Hofreitschule am Michaelerplatz sind die weißen Fiakerpferde dennoch gern gesehen …
Die echten Stars unter den Pferden sind nur ein paar Meter weiter zu Hause: die Lipizzaner der Spanischen Hofreitschule – eine Institution seit Jahrhunderten. Sie ist die älteste Reitschule und die einzige Institution der Welt, an der die klassische Reitkunst in der Renaissance-Tradition der „Hohen Schule“ seit mehr als 450 Jahren unverändert gepflegt und gelebt wird.
Betreuung rund um die Uhr
Auch Lipizzaner sind früh auf ihren vier Beinen. Um 6 Uhr morgens geht’s los. „Da werden unsere Hengste gefüttert, geputzt und der Stall ausgemistet“, erzählt Andreas Hausberger, Oberbereiter in der Spanischen Hofreitschule. Am Wiener Standort in der Hofburg sind 74 weiße Hengste untergebracht, die jeden Tag versorgt werden müssen. Um 7 startet der Arbeitstag mit dem Training inklusive Ausritt in den nahe gelegenen Burggarten und Bewegung in der weltgrößten Freiführanlage in der Sommerreitschule. Mittagessen gibt’s um 13 Uhr, Abendessen um 17 Uhr.
Historisches Erbe und moderne Pferdehaltung werden hier, mitten in Wien, kombiniert: „Die klassische Reitkunst als Ausbildungssystem basiert auf der freiwilligen Mitarbeit des Pferdes und auf der systematischen Durchbildung der gesamten Muskulatur des Pferdes, um es zu befähigen die schwersten Lektionen über Jahre ausführen zu können, ohne dabei Schaden zu nehmen. Zu jeder Zeit haben moderne wissenschaftliche Errungenschaften in der Pferdehaltung und -ausbildung an der Hofreitschule eine große Rolle gespielt und wurden zum Wohlergehen der Pferde angewendet“, so Hausberger. Apropos Wohlergehen: Stallmeister, Tierärzte, Chiropraktiker, Futterexperten, Sattler, Hufschmiede, Pferdepfleger und natürlich die Bereiter selbst kümmern sich rund um die Uhr und sieben Tage pro Woche um die weißen Superstars.
Rückkehr nach Piber
Sechs Jahre dauert die Ausbildung. Erst dann dürfen die prachtvollen Hengste vor Publikum auftreten. Wie den Fiakerpferden steht natürlich auch den Lipizzanern ein Jahresurlaub zu. Hausberger: „Den genießen alle Hengste in unserem Trainingszentrum Heldenberg in Niederösterreich. Dort dürfen sie dann sieben Wochen im Sommer verbringen: mit Ausritten und auf ausgedehnten Koppeln.“
Ist das Pensionsalter erreicht, schließt sich für die Lipizzanerhengste der Kreis, sie übersiedeln wieder dorthin, wo sie geboren wurden: ins Lipizzanergestüt Piber in der Steiermark. Dort werden die edlen Pferde gezüchtet. Rund 40 Fohlen (die in ihren ersten Lebensjahren noch eine schwarzbraune Färbung haben) erblicken dort jedes Jahr das Licht der Welt. Nur die besten Hengste kommen nach Wien in die Hofreitschule.
Die Auswirkungen der Corona-Krise waren auch hier zu spüren. Vorstellungen mussten abgesagt werden, doch, so Hausberger: „Das Training aller Hengste lief ungestört weiter. Zur Minimierung des Ansteckungsrisikos wurde in vier Gruppen gearbeitet – sowohl in der Hofreitschule als auch im Trainingszentrum am Heldenberg.“ Nachsatz: „Alle Reiter sind gesund geblieben.“ Und die Pferde auch. Davon können sich Besucher auch jederzeit selbst überzeugen, denn auch die Hofreitschule bietet exklusive Einblicke hinter die Kulissen an. Damit jeder – so wie wir – die berühmtesten Pferde der Welt einmal ganz privat kennenlernen kann.
Text: Robert Seydel
Spanische Hofreitschule
Bei einer Backstage-Tour dürfen Besucher nicht nur einen Blick in die Stallungen der Lipizzaner werfen, sondern auch in die barocke Winterreitschule (einst nur den Mitgliedern des Kaiserhauses vorbehalten) und auf die Sommerreitbahn mit der weltweit größten Freiführanlage für Pferde.
www.srs.at
Fiaker Paul
Stallbesichtigung und Fiakerfahrt in die Stadt sowie kulinarische Fiakerrundfahrten können über www.ridingdinner.com gebucht werden. Geheimtipp: Mit der „Vienna City Card Experience Edition“ erhalten Sie 20 % Rabatt auf diese Erlebnisse. Infos auch unter www.fiaker-paul.at