Transkript für BAHÖ II: Königin der Nacht meets Albertina-Direktor
Marianne Kohn: Also, ich habe die Mariahilfer Straße mit Autos geliebt.
Klaus Albrecht Schröder: Ja, da rührst du jetzt in einer Wunde. Ich bin Radfahrer.
Marianne Kohn: Aso, nein ich nicht. Ich bin nur Autofahrer.
Klaus Albrecht Schröder: Und zwar, ich bin einer der bei jedem Wetter fährt. Ich werde auf der Straße [gefragt]: Herr Generaldirektor wieso fahren Sie mit dem Rad? Ja, womit sonst, sage ich dann. In so einer Stadt, die jetzt wirklich auch Gott sei Dank ihr Herz für Radfahrer entdeckt hat. Und ich bin ein reiner Radfahrer, ich fahr bei Schnee, bei Regen.
Marianne Kohn: Ich hasse Radfahrer.
Klaus Albrecht Schröder: Es gibt aber Ausnahmen. Hoffentlich.
*Audiotrenner*
Marianne Kohn: Keine kurzen Hosen drinnen. Geh mach keinen BAHÖ. Das Wort habe ich ewig nicht mehr gehört. Wie schreibt man BAHÖ überhaupt? B A H Ö. Das muss ich mir merken, das Wort. BAHÖ.
Moderatorin: Gegensätze suchen Gemeinsamkeiten. Oder umgekehrt? BAHÖ ist der Podcast, bei dem sich zwei treffen. Zwei Persönlichkeiten, zwei Lebenswelten, zwei Perspektiven. Durchs Reden komm die Leute zusammen, gerade in Wien. In dieser Folge trifft Marianne Kohn, Betreiberin der legendären Loos Bar, auf Klaus Albrecht Schröder, Generaldirektor der Albertina. Sie sprechen darüber, ab wann man Spießer ist. Die Furcht vorm Tanzen. Und ob das ewige Leben wirklich erstrebenswert ist.
Klaus Albrecht Schröder: Ja, Servus Marianne, herzlichen Dank, dass ich kommen darf zu dir.
Marianne Kohn: Vormittag.
Klaus Albrecht Schröder: Herzlich willkommen.
Marianne Kohn: Hallo.
Klaus Albrecht Schröder: Servus, grüß dich.
Marianne Kohn: Schön, dich zu sehen.
Klaus Albrecht Schröder: Ich freu mich auch sehr.
Marianne Kohn: Ja, da ist deins, da ist meins.
Klaus Albrecht Schröder: Ich hab´s schön, wann immer ich mit dir reden darf, wird es ein spannendes, interessantes Gespräch. Ob das umgekehrt auch so ist, weiß ich nicht, aber ich habe große Erwartungen.
Marianne Kohn: Ich glaube bei dir ist es interessanter, weil du mit Kunst zu tun hast. Und ich habe oft mit betrunkenen Menschen zu tun.
Klaus Albrecht Schröder: Im Ernst, immer wenn ich da war, ist es unglaublich dicht, aber kultiviert gewesen.
Marianne Kohn: Ja, stimmt.
Klaus Albrecht Schröder: Also, wir haben ja, wir haben auch selber Einiges getrunken. Das gehört zum Nachtleben dazu und zur berühmtesten Bar der Welt so und so.
Marianne Kohn: Danke.
Klaus Albrecht Schröder: Aber ich habe hier nie Trunkenheit erlebt. Ich bin zuerst gefragt worden, was für mich ein BAHÖ ist, das durchaus manchmal geherrscht hat. Das ist etwas, wo ordentlicher Lärm ist, eine gute Stimmung ist, aber nie Aggression. Das mündet nie in Gewalt. Und das ist meine Vorstellung von der Loos Bar.
Marianne Kohn: Na ja, einmal im Jahr brauchen wir die Polizei, glaube ich, circa.
Klaus Albrecht Schröder: Einmal im Jahr?
Marianne Kohn: Ja, ist eh wenig.
Klaus Albrecht Schröder: Ja, nie, wenn ich da bin. Offensichtlich.
Marianne Kohn: Wann bist du da überhaupt? Nie, wenn ich da bin.
Klaus Albrecht Schröder: Es ist ganz lustig, wenn wir Eröffnungen haben, kommen wirklich Gäste aus aller Welt zu verschiedenen Ausstellungen. Das ist ganz klar. Und zwar wirklich aus Asien, Amerika, aus verschiedenen europäischen Ländern. Und dann haben wir ein ganz feines Dinner in den Prunkräumen und danach um zehn, um elf sagen sie: Können wir noch wohin gehen? Und wohin meinen sie immer die Loos Bar.
Marianne Kohn: Ma Bitte.
Klaus Albrecht Schröder: Es gibt keinen zweiten Ort wie den, der international so ein Renommee genießt. Wenn man nach einem feinen Dinner noch wo hingehen muss, dann muss es deine Bar sein.
Marianne Kohn: Ja.
Klaus Albrecht Schröder: Und ich glaube, das liegt nicht nur an dieser grandiosen Architektur. Was hier in einer ganz kleinen Schatulle, letzten Endes in einer Jewel Box, dem Adolf Loos gelungen ist, ist das eine. Das andere ist, dass diese Bar, so alt sie jetzt schon ist, immer noch mit gegenwärtigem Leben erfüllt ist. Was ich überhaupt eigentlich für einen Teil der Wiener Identität halte. Dass das, was unglaubliche Geschichte atmet und daher uns einschüchtern könnte, unendlich zeitgemäß ist.
Marianne Kohn: Na ja, weil junge Leute auch herkommen. Weil mit die Alten, weißt eh, das ist ja… Es müssen junge Leute überall hinkommen, ob im Theater, im Museum ist vollkommen egal.
Klaus Albrecht Schröder: Ja.
Marianne Kohn: Und die Loos Bar ist halt ein Kulturgut Wiens. Also das ist keine Bar, sondern wie der Stephansdom in klein. Ein Kulturgut.
Klaus Albrecht Schröder: Es freut mich, dass du das sagst. Was ist für dich eigentlich die größte Änderung, die du zu deinen Lebzeiten in Wien erlebt hast? Ich glaube nämlich, meine zu kennen. Sag mir deine.
Marianne Kohn: Die größte Änderung, glaube ich, war in den 80er Jahren oder so.
Klaus Albrecht Schröder: Ja. In den späten, in den Neunzigern eigentlich. Ich glaube, dass…
Marianne Kohn: In den 90ern war uns schon wieder fad. Die 80er, 70er waren auch super. Auch die 60er Jahre waren super.
Klaus Albrecht Schröder: In einem kleinen Biotop, ja, aber mein größter Unterschied, den ich wahrgenommen habe – und ich bin nicht Wiener, ich bin in Linz geboren und fühle mich heute natürlich bis weit unter die Haut als Wiener – war, dass man damals, Wien hatte gerade knapp über eineinhalb Millionen Einwohner, kein einziges nicht-deutsches Wort gehört hat. Es war eine vollkommen homogene Stadt. Heute kann ich eine Stunde lang durch meinen Heimatbezirk im siebenten Bezirk, durch Neubau gehen.
Marianne Kohn: Du wohnst auch im Siebenten?
Klaus Albrecht Schröder: Ich wohne im Siebenten.
Marianne Kohn: Ich auch.
Klaus Albrecht Schröder: Wunderschön sogar.
Marianne Kohn: Ich habe sogar einen Garten im Siebenten.
Klaus Albrecht Schröder: Und ich höre fast gar kein deutsches Wort. Ich höre Italienisch, Französisch, Englisch.
Marianne Kohn: Achso nein, bei mir…
Klaus Abrecht Schröder: Also dort ist wirklich alles heute. Und das ist ein Unterschied, der mit dem Fall des Eisernen Vorhangs begonnen hat, dann mit der Öffnung Chinas, Asiens noch einmal Tempo genommen hat. Und heute kommt mir Wien in mancher Hinsicht globaler vor, internationaler als New York.
Marianne Kohn: Es stimmt wirklich, ich war so oft in New York und New York ist irgendwie spießig gegen Wien geworden.
Klaus Albrecht Schröder: Homogen geworden und unglaublich reich. Also es ist nur mehr reich. Und Wien hat eine tolle Mischung. Da gibt es wirklich noch alle Schichten. Die Schönheit der Diversität, die die Gesellschaft heute widerspiegelt, die die Welt widerspiegelt, die spiegelt auch Wien wider und nimmt sie auf. Ich glaube auch, dass das möglicherweise sogar eines der Motive des Erfolges und der Attraktion von Wien darstellt.
Marianne Kohn: Na gut, wir zwei wohnen in einem Bobo-Bezirk.
Klaus Albrecht Schröder: Sagt man.
Marianne Kohn: Sagen wir. Wo wohnst du im Siebenten?
Klaus Albrecht Schröder: Ecke Schottenfeldgasse, Mariahilfer Straße.
Marianne Kohn: Aso, und ich wohne in der Lindengasse.
Klaus Albrecht Schröder: Dann wohnst du von mir fünf Minuten, nicht einmal.
Marianne Kohn: Zollergasse, beim Europa ums Eck.
Klaus Albrecht Schröder: Fünf Minuten.
Marianne Kohn: Und ich wohne da im Siebenten glaube ich seit 1971. Aufgewachsen bin ich im Dritten. Und ich liebe den siebenten Bezirk eigentlich. Weil er alles hat. Er hat Kaffeehäuser, Restaurants, einkaufen kannst gehen ums Eck gleich. Weißt, du brauchst nicht einmal ein Auto, gar nichts.
Klaus Albrecht Schröder: Also im Siebenten verhungert man mit Sicherheit nicht.
Marianne Kohn: Nein, da verhungert man nicht, nein.
Klaus Albrecht Schröder: Und zwar glücklicherweise ist der Siebente auch noch ein Bezirk, wo man an einem Sonntag immer an jeder Straßenecke ein offenes Restaurant vorfindet.
Marianne Kohn: Immer, ja. Und er ist grün auch. Man glaubt nicht, wie grün der ist. Die Hinterhöfe.
Klaus Albrecht Schröder: Die Hinterhöfe. Dort, wo man sonst nicht hinkommt. Das ist das einzige, was ich im siebenten Bezirk ein bisschen bedaure.
Marianna Kohn: Ich habe zum Beispiel einen Garten bei mir im Siebenten.
Klaus Albrecht Schröder: Im Hinterhof wahrscheinlich.
Marianne Kohn: Im Hinterhof. Es ist so super. Und daneben ist wieder ein Garten.
Klaus Albrecht Schröder: Für mich ist der erste Baum letzten Endes, der erste echte, im Burggarten.
Marianne Kohn: Aso.
Klaus Albrecht Schröder: Der ja sowieso einer der schönsten Gärten Österreichs ist. Der kaiserliche Burggarten. Und außerdem ist er für mich besetzt durch mein Berufsbild, weil ich darüber die Albertina habe. Bist du in Wien geboren?
Marianne Kohn: Ich bin Wiener Jüdin, original Wiener Jüdin.
Klaus Albrecht Schröder: Also wirklich hier aufgewachsen. Ich ja nicht.
Marianne Kohn: Also bei mir sind alle Verwandten, alle aus Wien, was ganz selten ist nämlich.
Klaus Albrecht Schröder: Bei mir ist mein Vater aus Wien, der ist nach dem Zweiten Weltkrieg nach Oberösterreich gezogen und ich bin aus Oberösterreich und dann hierhergekommen. Und war damals ein bisschen überrascht, wie grau diese Stadt war und wie unmodern im Vergleich zu Linz.
Marianne Kohn: Linz ist gut gewesen.
Klaus Albrecht Schröder: Ja, das war natürlich eine Stahlstadt, war Industriestadt, war damals schon durch die Wirtschaft weltoffen. Und das ist Wien dann natürlich in den 80er, 90er Jahren geworden. Da haben manche Bürgermeister ihres beigetragen, wie der legendäre Helmut Zilk, ein ganz lieber Freund von mir. Und es hat natürlich die Öffnung des Ostblocks... Wir sind nicht mehr 60 Kilometer entfernt vom Eisernen Vorhang gewesen, sondern plötzlich mitten in Europa. Das spürt man bis heute.
*Audiotrenner*
Marianne Kohn: Geh mach keinen BAHÖ.
Klaus Albrecht Schröder: Keinen BAHÖ.
Marianne Kohn: Also, ich habe die Mariahilfer Straße mit Autos geliebt.
Klaus Albrecht Schröder: Ja, da rührst du jetzt in einer Wunde. Ich bin Radfahrer.
Marianne Kohn: Aso, nein ich nicht. Ich bin nur Autofahrer.
Klaus Albrecht Schröder: Und zwar, ich bin einer der bei jedem Wetter fährt. Ich werde auf der Straße [gefragt]: Herr Generaldirektor wieso fahren Sie mit dem Rad? Ja, womit sonst, sage ich dann. In so einer Stadt, die jetzt wirklich auch Gott sei Dank ihr Herz für Radfahrer entdeckt hat. Und ich bin ein reiner Radfahrer, ich fahr bei Schnee, bei Regen.
Marianne Kohn: Ich hasse Radfahrer.
Klaus Albrecht Schröder: Es gibt aber Ausnahmen. Hoffentlich.
Marianne Kohn: Es gibt wirklich fürchterliche, die führen dich nieder, wirklich.
Klaus Albrecht Schröder: Wenn dich ein Radfahrer niederführt ist das erstens eine Frechheit…
Marianne Kohn: Es gibt welche, die passen nie auf. Die sind ein Wahnsinn.
Klaus Albrecht Schröder: …und zweitens trotzdem weniger tödlich als wenn dich ein Auto niederführt.
Marianne Kohn: Ja, das stimmt. Aber ich finde trotzdem… die Mariahilfer Straße war für mich immer so als Kind, wenn man spazieren gegangen ist, ist man nicht in der Mitte der Straße gegangen, sondern bei den Auslagen. Weil wenn ich spazieren gehe, gehe ich in Wienerwald. Und deswegen war für mich die Mariahilfer, auch die Kärntner Straße… Als Kind hat mein Vater in der Oper gearbeitet und ich bin ja so ein Opernfreak. Und da sind die Nutten da gestanden und da war die ganze Kärntner Straße, auf jedem Eck war ein Kaffeehaus. Und hin und her Autoverkehr, das kann man sich gar nicht vorstellen. Also Gegenverkehr.
Klaus Albrecht Schröder: Und eben das Rotlichtviertel.
Marianne Kohn: Das Rotlichtviertel. Das war einfach genial damals.
Klaus Albrecht Schröder: Da gab es einen berühmten Witz zur Albertina, heute ein Weltmuseum, das als Marke überall gesucht wird. Und in den 60er Jahren hat ein Mann in der Kärntner Straße einen Polizisten nach der Albertina gefragt. Und der hat gesagt: Ich kenne die Rosemarie und die Liliane, aber die Albertina kenn ich nicht.
Marianne Kohn: Ist aber gut, oder? Aber was war die Albertina in den 60er Jahren? War das eine Baustelle?
Klaus Albrecht Schröder: Nein, es war ein Kupferstichkabinett auf ein paar hundert Quadratmetern mit neun anderen Nutzern in diesem Palais.
Marianne Kohn: Und das war alles.
Klaus Albrecht Schröder: Das war alles. Das Palais war leergefegt. Und in den letzten 30 Jahren haben wir es wieder zu einer Residenz auf der einen Seite und einem modernen Museum auf der anderen Seite gemacht. Und für eine Million Menschen oder über eine Million jedes Jahr attraktiv und interessant getan. Das liegt aber nicht nur an der Albertina oder gar an mir.
Marianne Kohn: An dir.
Klaus Albrecht Schröder: Sondern nein, auch an dieser Stadt. Ohne den Resonanzraum einer Metropole, einer Kulturmetropole kannst du nicht agieren. Stell dir mich vor ihm Rieder Heimathaus. Dann habe ich dort trotzdem nicht eine Million Besucher. Also es ist schon gut, dass ich in Wien gelandet bin.
*Audiotrenner*
Marianne Kohn: Geh mach keinen BAHÖ.
Klaus Albrecht Schröder: Keinen BAHÖ.
Marianne Kohn: Also ich glaube Kunst ist mit Geld verbunden, durch die Galeristen, weil Galeristen pushen Künstler und durch die Galeristen werden die Preise manchmal wirklich immens hoch. Dass sich ein normaler Mensch das dann leisten kann. Ich kenne Künstler, die ohne Galeristen mal waren, so wie der Schmalix. Der ist dann nach Amerika gegangen. Und dann ist er… die Krinzinger war seine Galeristin und da ist er so raufgepusht worden, dann ist er nach Amerika gegangen, dort hat er überhaupt nichts verkauft. Und jetzt ist er wieder nach Wien gekommen mit einer Ausstellung, eh in der Albertina, und die Leute rennen ihn nieder. Aber der war 30 Jahre in Amerika dazwischen.
Klaus Albrecht Schröder: Ja, und hat heute noch sein Haus in Los Angeles. Also wenn du mich fragst, ob Kunst und Geld miteinander verbunden ist, ja natürlich. Kunst führt ein Doppelleben.
Marianne Kohn: Das stimmt, ja.
Klaus Albrecht Schröder: Auf der einen Seite ist sie handelbare Ware, auf der anderen Seite ist die autonome Kunst, die wir bewundern, unabhängig von ihrem Preis. Wien hat zur Kunst natürlich ein ganz eigenes Verhältnis, ganz anders als London, Paris oder New York, weil in diesen Städten ist jeweils auch der Kunsthandel unglaublich groß, weil dort das große Geld ist. Das ist in Wien nicht vorhanden. Wir haben nicht Sammler, die im Jahr zwischen 20 und 100 oder 150 Millionen Dollar oder Euro ausgeben für Kunst. Aber die Museen sind, was die Kunst betrifft, Weltliga. Und die Künstler, die wir hier haben, sind es auch. Wien ist heute definitiv auf derselben Ebene eine Kunststadt zu nennen…
Marianne Kohn: Ja, das stimmt.
Klaus Albrecht Schröder: …wie sie zurecht eine Musikstadt zu nennen ist. Die Kunst wird unsterblich sein in dieser Stadt. Weil die freie Sicht aufs Mittelmeer wird Wien auf längere Sicht nicht anbieten können. Silicon Valley werden wir nicht werden.
Marianne Kohn: Nein.
Klaus Albrecht Schröder: Aber was wir haben, wie kaum eine andere Stadt, ist Kunst, Literatur, Musik und mittlerweile eigentlich, aber das weißt du besser wahrscheinlich als ich, ein Nachtleben, das interessant ist. Das hat es doch in der Form noch vor 30, 40 auch Jahren nicht gegeben, oder?
Marianne Kohn: Na oh ja, aber anders. Da hat es zum Beispiel Undergroundclubs gegeben. Ich habe das U4 gegründet, ich weiß nicht, wann das war, 1980. Und da hat es Undergoundclubs gegeben. Jetzt sind halt alle Clubs spießig und kein Underground mehr. Weil die Leute einfach anders im Hirn denken. Und auch Underground, finde ich, sollte es schon auch geben. Weil das ist einfach Kultur gewesen.
Klaus Albrecht Schröder: Ist das eine Art von Subkultur…
Marianne Kohn: Ja, ist eine Subkultur, ja.
Klaus Albrecht Schröder: …die nur in Wien verschwunden ist oder die sozusagen epochentypisch auch in anderen Städten verschwunden ist?
Marianne Kohn: Nein nein, Underground gibt´s immer. Das hat´s gegeben in den 60er Jahren. Jedes Jahrzehnt gibt’s Underground, nur heutzutage gibt es keinen, glaube ich.
Klaus Albrecht Schröder: Hier nicht oder auch nicht in London?
Marianne Kohn: Oja, doch, ich glaube in London schon. In Berlin gibt es auch Underground, aber in Wien kenne ich nichts. Also die Grelle Forelle und alles. Das ist alles spießig geworden irgendwie. Also so Underground finde ich… schade, weil es gibt super junge Bands auch bei uns, die wollen aber nicht in der Passage oder in irgendsoeinem Spießerclub spielen. Wo sollen die dann spielen?
Klaus Albrecht Schröder: Jetzt weiß ich‘s nicht, bin ich ein Spießer, weil ich nicht Teil der Undergroundszene bin? Oder bin ich kein Spießer, weil ich noch nie in der Passage war?
Marianne Kohn: Es gibt zum Beispiel in Wien, so wie früher, keinen guten Club, wo man tanzen gehen kann. Ich gehe oft die Michi besuchen in der Eden Bar. Die Eden Bar ist die letzte Tanzbar Österreichs, glaube ich. Der Erwin ist ja jetzt beteiligt… wahnsinnig schön hergerichtet. Also für mich das schönste Lokal in Wien.
Klaus Albrecht Schröder: Ich fürchte solche Orte, wo ich womöglich Tanzverpflichtungen eingehen müsste.
Marianne Kohn: Nein, musst nicht tanzen.
Klaus Albrecht Schröder: Mit meiner Frau muss ich nicht tanzen.
Marianne Kohn: Ich hasse tanzen auch so, aber bewegen zumindest.
Klaus Albrecht Schröder: Mich trennen von meiner Frau genauso viele Jahre wie Zentimeter. Daher können wir nicht gemeinsam tanzen.
Marianne Kohn: Bei der Michi sind wenigstens noch Live-Bands drüben. Wo hat man das in Wien noch? Nirgends. Und das ist aber auch kein Underground. Die [Leute] pendeln immer zwischen Loos Bar und Eden Bar hin und her. Wir können uns eine Schneise bauen da, die gehen erst daher, dann wieder hin und dann wieder zurück.
Klaus Albrecht Schröder: Wie positionierst du da im Vergleich die Loos Bar? Sie ist…
Marianne Kohn: Ich sage immer, die Michi und ich sind die Präsidentinnen des ersten Bezirkes. Die Widl gehört noch dazu, die Susanne, aber die ist ja weiter weg. Aber wir zwei sind die Präsidentinnen der Kärntner Straße.
Klaus Albrecht Schröder: Ist ein Ehrentitel.
Marianne Kohn: Ja, ein Ehrentitel, genau, für nix.
Klaus Albrecht Schröder: Man hört euch zu, wenn ihr die Stimme erhebt.
Marianne Kohn: Ja, für uns ein Ehrentitel. Ich sage immer wir sind die Präsidentinnen.
*Audiotrenner*
Marianne Kohn: Geh mach keinen BAHÖ.
Klaus Albrecht Schröder: Keinen BAHÖ.
Klaus Albrecht Schröder: Ich habe gestern eine Ausstellung konzipiert, da habe ich nachher die größten österreichischen Künstler und die größten deutschen wie in einem Fußballspiel gegenübergestellt. Arnulf Rainer und Georg Baselitz, Gerhard Richter und Maria Lassnig, Valie Export usw. Und dann bin ich draufgekommen, zehn Prozent der Teilnehmer sind über 90, 75 Prozent sind über 80 oder tot und drei Künstler waren unter 60. Und keiner unter 55. Und da habe ich an die gedacht, an diese Künstler und mir gedacht, das sind ja alles meine Freunde. Und dann bin ich draufgekommen, dass ich auch fast 70 bin. Und jetzt überlege ich, wo ich sterben hinfahre.
Marianne Kohn: Wie alt bist?
Klaus Albrecht Schröder: 68.
Marianne Kohn: Na geh bitte, zehn Jahre jünger als ich.
Klaus Albrecht Schröder: Fast schon jung.
Marianne Kohn: Ein Kind. Alle Leute jammern, dass sie einsam sind oder was, aber wenn du tot bist, bist du auch einsam, vollkommen wurscht.
Klaus Albrecht Schröder: Weiß ich nicht. Es kommt darauf an, was man für Gefühle entwickelt, wenn man tot ist. Möglicherweise keine, dann ist man nicht einmal einsam. Ich finde den Tod angesichts der enormen Intelligenz und Leistungsfähigkeit des Menschen immer noch sehr skandalös. Dass so viel Intelligenz aufgebaut wird, so viel kollektive Intelligenz, die sich vererbt, aufgebaut wird und dann ist es jeweils individuell aus mit einem Schlag. Und es ist nichts mehr, nicht einmal Schwärze.
Marianne Kohn: Ist doch super, bitte. Willst ewig leben?
Klaus Albrecht Schröder: Gibt es vielleicht Schlimmeres. Aber so ist es wie es ist. Und Wien hat man ja immer nachgesagt - ein besonders intimes Verhältnis zum Tod. Eine ganze Stadt wird anhand des Wiener Zentralfriedhofs beschrieben. Zürich doppelt so groß wie der Wiener Zentralfriedhof, aber nur halb so lustig. Nein, der Tod und Wien gehören vielleicht nicht unbedingt zusammen, aber die Wiener haben schon mit diesen alten, wunderschönen, wunderbaren Friedhöfen ein eigenes Verhältnis zum Tod.
Marianne Kohn: Ich finde, der Tod ist lustig.
Klaus Albrecht Schröder: Ja?
Marianne Kohn: Ja.
Klaus Albrecht Schröder: Vielleicht bist du eine Mexikanerin. Ein bisschen, doch.
Marianne Kohn: Nein, irgendwie ist der Tod etwas, was man noch nie erlebt hat. Und vielleicht ist es super, was weiß man. Der Freud hat immer gesagt es gibt Tod und Leben. Wer weiß, ob das jetzt der Tod ist oder das andere das Leben? Das weiß ja keiner. Es kann ja jetzt auch der Tod sein. Sind ja nur zwei Worte.
Klaus Albrecht Schröder: Sicher, ich will kein weißer Elefant in deiner Bar sein, aber die Wahrscheinlichkeit ist relativ gering.
*Audiotrenner*
Marianne Kohn: Geh mach keinen BAHÖ.
Klaus Albrecht Schröder: Keinen BAHÖ.
Marianne Kohn: Ja, keine kurzen Hosen, drinnen.
Moderator: Warum nicht?
Marianne Kohn: Weil‘s schirch ist. Aber das habe ich schon 20 Jahre. Stell dir vor du sitzt auf diesen Ledersofas. Die Männer mit den kurzen Hosen, Schlapfen und Socken. Wie geht das? Ich mein... Schau, man muss, wenn man weltweit in die Innenstadt geht, ist ja wurscht wo, soll man sich schön anziehen. Sie können ja nach Favoriten gehen, da ist es egal. Also wenn du schaust im tiefsten Sizilien, siehst du nie einen Sizilianer mit einer kurzen Hose und da hat es 50 Grad. Die haben weiße Leinenhosen an. Und ich hasse es wirklich. Manches Mal draußen, will ich´s auch nicht mehr… die sitzen wirklich mit so Sporthosen, dann Schlapfen und weißen Socken, bitte. Es ist zum Kotzen. Es schaut so grauslich aus einfach. Warum kann man sich nicht in der Stadt schön anziehen, warum? Wenn du ins Ausland gehst in die Stadt, ziehst du dich auch schön an, oder?
Klaus Albrecht Schröder: Ich bin wahrscheinlich jetzt wirklich nicht der beste Maßstab.
Marianne Kohn: Gehst du mit einer kurzen Hose wohin?
Klaus Albrecht Schröder: Nein, nein tu ich nicht, aber auch nicht am Land. Ich bin eigentlich überall gleich spießig angezogen, wenn man so will.
Marianne Kohn: Man kann am Strand... ist ja vollkommen wurscht.
Klaus Albrecht Schröder: Ich bin ja aufgewachsen in der Zeit mit Marcello Mastroianni oder Gregory Peck. Solche Figuren, die den Standard vorgegeben haben.
Marianne Kohn: Hat der eine kurze Hose gehabt? Nein.
Klaus Albrecht Schröder: Nein.
Marianne Kohn: Ich habe lange in Italien gelebt, in Rom in den 60er Jahren, da hat keiner kurze Hosen gehabt.
Klaus Albrecht Schröder: Nein, wäre niemandem eingefallen.
Marianne Kohn: Niemandem. Und ob das eine Prada-Hose oder Gucci... Mir ist das vollkommen egal. Da haben sie sich aufgeregt, das war eine Prada-Hose, da habe ich gesagt: Es ist mir so wurscht, was das für eine Hose ist. Sie war kurz und schirch und außerdem hast schirche Füße.
Klaus Albrecht Schröder: Ich halte eigentlich das Museum, wenn man mich fragt, ob hier ein Dresscode existiert…
Marianne Kohn: Die sollten auch schön angezogen sein.
Klaus Albrecht Schröder: …für eine der demokratischsten Kultureinrichtungen schlechthin. Es gibt keine Einkommensschwellen wie bei großen Festspielen. Man kann sich diesen Eintritt mit Sicherheit leisten.
Marianne Kohn: Ja, das kann man.
Klaus Albrecht Schröder: Es gibt keinen Dresscode, es gibt keinen sozialen Druck, ob man dort war oder nicht dort war. Es kann so ein sozialer Druck schon bei den Salzburger Festspielen oder in Bayreuth entstehen. Wenn man nicht dort war, gehört man nicht zu einer bestimmten Schicht. Ein Museum und ein Museum in Wien ist eine radikaldemokratische Einrichtung. Wünsche ich mir trotzdem, dass manchmal nicht Badeschlapfen sind? Ja.
Marianne Kohn: Ja eben, das meine ich ja.
Klaus Albrecht Schröder: Aber tendenziell öffne ich mein Haus bewusst für alle. Ich frage weder nach deren Herkunft, noch nach der sexuellen Identität oder Religion.
Marianne Kohn: Ja, das frag ich auch nicht, nur schön angezogen sollen sie sein. Ich versteh auch nicht in der Oper, letztes Mal war ich, da sind sie unten gesessen im Parkett mit Chips und Getränken. Da habe ich mir gedacht, wie geht das bitte? Die waren in der Oper mit Rucksäcken, das gehört verboten.
Klaus Albrecht Schröder: Wirst du oft hier in dieser Bar angesprochen, auf den Architekten, auf den Entwerfer dieser Bar, oder?
Marianne Kohn: Na ja, nein, eigentlich nicht, das wissen eh die meisten.
Klaus Albrecht Schröder: Die hierherkommen, wissen es schon.
Marianne Kohn: Wenn sie nicht wissen, wer der Loos ist, brauche ich es ihnen eh nicht erklären. Aber die meisten wissen es ja, deswegen kommen sie ja her. Es kommen ja wahnsinnig viele Architekten her von überall, weil jeder Architekt lernt über Loos.
Klaus Albrecht Schröder: Und wie man den winzigsten Raum durch eine Verspiegelung, Onyx zu einer wunderbaren Agora macht.
Marianne Kohn: 27 Quadratmeter.
Klaus Albrecht Schröder: 27 Quadratmeter?
Marianne Kohn: Ich liebe kleine Räume. Ich mag auch keine großen Wohnungen mehr. Man befindet sich in einer Wohnung meistens in der Küche oder im Schlafzimmer. Alles andere ist sinnlos.
Klaus Albrecht Schröder: Ich liebe große Räume.
Marianne Kohn: Wirklich? Nein, ich überhaupt nicht.
Klaus Albrecht Schröder: Ich liebe sehr große Schlafzimmer.
Marianne Kohn: Nein, ich nicht.
Klaus Albrecht Schröder: Ich liebe sehr große Wohnräume, aber ich bin natürlich auch durch die Albertina nicht nur verwöhnt, sondern auch geprägt. Ich gehe jeden Tag so 130 Meter durch diese historischen Prunkräume, die im 18. Jahrhundert errichtet worden sind. Mein Büro, das hat, glaube ich, 120 Quadratmeter. Und da gewöhnt man sich daran und nach 25 Jahren dort könnte ich mich jetzt nicht plötzlich in ein kleines Zimmer zurückziehen.
Marianne Kohn: Aso, ich habe das so gerne.
Klaus Albrecht Schröder: Ich bin zwar an sich ein Höhlenmensch, der sich wohlfühlt in einem Refugium.
Marianna Kohn: Nein, ich habe es gern finster, ich brauche finstere Wohnungen.
Klaus Albrecht Schröder: Aber diese Höhle soll bei mir groß sein. Also Lasko und größer.
Marianne Kohn: Ich habe immer eine große Wohnung gehabt. Jetzt macht Pro 7 eine Doku über mich. Meine Wohnung ist ja so angeräumt. Die haben gesagt, sie ziehen nicht mehr weg aus meiner Wohnung, weil die so verrückt ist schon, meine Wohnung. Sie haben gesagt, sowas haben sie noch nie gesehen, soviel Kitsch auf einmal haben sie noch nie in ihrem Leben gesehen. Da habe ich gesagt jawohl. Sie haben geglaubt sie sind in Disneyland oder so. Und ich liebe es einfach, wahrscheinlich, weil ich keine Kindheit gehabt habe, ich habe keine Ahnung. Aber ich liebe es, je mehr, desto besser. Je mehr Sammlungen, desto besser.
Klaus Albrecht Schröder: Und ich versuche Leere, Leere, Leere, minimalistisch, ganz wenig. Großes Gemälde an einer Wand.
Marianne Kohn: Nein, ich bin genau das Gegenteil. Viele Bilder, viele alte Teddybären, viele alte Stoffe.
Klaus Albrecht Schröder: Interessant.
Marianne Kohn: Immer schon, ja.
*Audiotrenner*
Marianne Kohn: Geh mach keinen BAHÖ.
Klaus Albrecht Schröder: Keinen BAHÖ.
Marianne Kohn: Eine Wiener Seele ist oft, ich weiß nicht einmal, ich finde eine Wiener Seele ist oft grantig, unhöflich.
Klaus Albrecht Schröder: Die Wiener?
Marianne Kohn: Die Wiener, neidisch sind sie auch sehr gerne.
Klaus Albrecht Schröder: Aber man stößt ja nicht mehr auf so viele Wiener. Erstens, weil 40 Prozent, über 40 Prozent der in Wien Lebenden gar nicht hier geboren worden sind.
Marianne Kohn: Sind von woanders, ja genau.
Klaus Albrecht Schröder: Auch zugereist sind, wie ich, oder wie Freunde aus Deutschland, Spanien oder aus Slowenien. Nein, die Wiener Seele, glaube ich, ist eher ein Image des Wien-Films der Nachkriegszeit. Ich halte es auch nicht für einen Verlust, wenn es so etwas wie eine eng zu definierende Seele für Wien nicht gibt. Dazu ist Wien viel zu multikulturell, multifacettiert heute aufgestellt. Ich habe immer das Gefühl, ich kenne kaum eine zweite Stadt, die tatsächlich so viele verschiedene Kulturen gleichzeitig umfasst. Also wir können einen Bürgermeister haben, der spricht als ob er Ottakring kommt, der ist aus Ottakring. Der schaut aus, als ob er aus Ottakring ist. Und er hat ein Verständnis der Vielfalt der Gesellschaft.
Marianne Kohn: Stimmt.
*Audiotrenner*
Marianne Kohn: Geh mach keinen BAHÖ.
Klaus Albrecht Schröder: Keinen BAHÖ.
Klaus Albrecht Schröder: Bist du jeden Abend hier?
Marianne Kohn: Nein, um Gottes Willen. Nein. Ich bin da, wenn ich will. Ich bin mein eigener Herr. Nein. Ich trinke ja keinen Alkohol. Nichts. Also was mache ich da?
Klaus Albrecht Schröder: Ah wirklich?
Marianne Kohn: Schon ewig nicht. Ich habe genug getrunken für mein Leben. Danke. Willst einen Kaffee? Oder was?
Klaus Albrecht Schröder: Nein, danke. Wasser ist wunderbar. Perfekt.
Marianne Kohn: Gut.
Klaus Albrecht Schröder: Also, ich finde die Idee, dass der Tourismus auf einmal sagt, jetzt bringen wir Leute aus ganz verschiedenen Branchen zusammen, die vielleicht gar nicht so viel gemeinsam haben, die sich nicht täglich über den Weg laufen und sie über Wien reden lassen, finde ich eigentlich sehr, sehr gut. Wir sind es sonst gewöhnt, immer nur Werbefilme, die aus Harmonie bestehen und schönen Bildern… aber Wien ist viel vielfältiger. So ein Podcast, so ein Audio on Demand spiegelt viel mehr, finde ich, die Widersprüchlichkeit und die Attraktivität Wiens wider.
Marianne Kohn: Ich sage das Gleiche.
Klaus Albrecht Schröder: Dankeschön.
Marianne Kohn: Ich danke auch. Klingt so französisch: BAHÖ. Das nehmen wir jetzt in die moderne Welt wieder auf. BAHÖ.
*Audiotrenner*
Marianne Kohn: Keine kurzen Hosen drinnen. Geh mach keinen BAHÖ. Das Wort habe ich ewig nicht mehr gehört. Wie schreibt man BAHÖ überhaupt? B A H Ö. Das muss ich mir merken, das Wort. BAHÖ.