Bahö Folge 6 - Martin Moder meets Toni Faber

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Transkript für BAHÖ IX: Dompfarrer meets Science-Comedian

Martin Moder: Ich fände die Bibel viel interessanter, wenn man sie betrachten würde als die Geschichte von einem für seine Zeit sehr progressiven Moralphilosophen. Damit könnte ich sehr gut leben. Wenn da nicht diese Vorgabe wäre: Das ist jetzt der Sohn vom Herrgott oder der Herrgott selbst. Dann würde es mir leichter fallen, diese Geschichten wertzuschätzen, als wenn ich das Gefühl hätte, es würde mir abverlangt werden zu glauben, dass das so ist.

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Toni Faber: Bisschen frisch, oder? Habt‘s nicht eingeheizt, Stephan?
Martin Moder: Aussprechen ist Beichte. Machen das noch viele Leute?
Toni Faber: Gott liebt dich mit all deinen Fehlern. Hauptsache es tut dir leid!
Martin Moder:  Super, dann lass ich die argen Sachen weg.
Toni Faber: Genau!
Martin Moder: So ein BAHÖ!
Toni Faber: Wir werden dafür zwar gekreuzigt werden…
Martin Moder: Da habt ihr einmal einen Grund gehabt zum Beten. Ich bin da aufgewachsen, Nähe Praterstern.
Toni Faber: Na bitte, ein Prater-Kind.
Martin Moder: Dann sag ich nachher auch einen Kraftausdruck, damit es ausgeglichen bleibt.
Toni Faber: BAHÖ!
Martin Moder: Das ist total super, wenn man den Dom quasi in ein Ranking mit der Lugner City setzt.
Toni Faber: Na so ein BAHÖ!
Martin Moder: Das war viel besser betont…

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Moderatorin: Gegensätze suchen Gemeinsamkeiten. Oder umgekehrt? BAHÖ ist der Podcast, bei dem sich zwei treffen. Zwei Persönlichkeiten, zwei Lebenswelten, zwei Perspektiven. Durchs Reden kommen die Leute zusammen, gerade in Wien.
In dieser Folge trifft Dompfarrer Toni Faber auf Molekularbiologe und Science Buster Martin Moder. Die beiden sprechen im prachtvollen Wiener Stephansdom darüber, ob die Wiedergeburt als Wurm wünschenswert ist, ob man einen Podcast segnen kann und ob Wissenschaftler in der Kirche lügen dürfen.

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Toni Faber: Ja, der Martin Moder ist ein gescheiter Mann. Wohl trainierter Kopf, wohl trainierter Körper. Ich bin fast ein bisschen von Neid und Eifersucht ergriffen. So gescheit kann man sein. Das ist sicherlich sehr, sehr kompliziert, Molekularbiologie zu studieren und zu wissen, was sich da im kleinsten Bereich unseres menschlichen Lebens tut. Und er kommt mehr zum Trainieren als ich, also ich würde gerne öfters auch trainieren gehen. Aber ich denke, er ist ein klasse Kerl. Viel Humor. Macht bei den Science Busters mit. Das ist schon etwas Lustiges, wenn man die große, hohe Wissenschaft runterbrechen kann. Dass man darüber auch lachen kann und sie vor allem auch versteht.
Martin Moder: Vielen lieben Dank! Du, das ist so ein weitläufiges Gebäude, da kann man easy ein kleines Gym in irgendeine Ecke hinein pflanzen, da sehe ich gar kein Problem. Der Toni Faber ist der Dompfarrer vom Stephansdom. Wir haben uns kennengelernt bei einem Gespräch übers Impfen. Wir haben beide vergessen, wo genau das war oder wie dieser Raum heißt. Aber es war sehr lässig und ich fand es sehr, sehr cool. Dass er gesagt hat, wie er den Dom fürs Impfen geöffnet hat. Das hat natürlich gleich mein Herz auch geöffnet. Daher kennen wir uns.
Toni Faber: Martin, ich habe erfahren, du bist heute einmal und vielleicht schon das zweite Mal in diesem Jahr in der Kirche. Fühlst du dich mit der großen christlichen Familie weltweit verbunden? Bist du auch Teil dieser Kirche? Bist du getauft worden?
Martin Moder: Ich bin getauft worden. Ich bin dann irgendwann zwischen meinem 20. und 25. Lebensjahr aus der Kirche ausgetreten. Ich gehe einmal pro Jahr zu Weihnachten mit meinen Eltern in die Kirche. Das ist unsere Tradition, da kontrolliert keiner beim Reingehen, ob man noch Mitglied ist. Das ist total angenehm. Das ist mein Background.
Toni Faber: Die Mitgliedschaft zur Kirche wird auch beim lieben Gott nicht kontrolliert.
Martin Moder: Das ist super.
Toni Faber: Da bin ich mir ganz sicher, dass der Petrus beim Türeingang des Himmels nicht sagt, bist du jetzt Mitglied oder nicht. Sondern es kommt darauf an: Lebst du nach deinen Werten. Und dann ist es natürlich auch gut, diese Werte nicht zu vergessen, sich regelmäßig zu vergewissern. Und dazu dient die kirchliche Gemeinschaft. Und dass die kirchliche Gemeinschaft natürlich auch eine Basis, eine Grundfinanzierung braucht, damit sie ihre Kirchen erhalten kann, damit das Personal angestellt ist, damit sie ihre Grunddienste erfüllen kann. Aber für alles Wesentliche braucht es dann eh noch grundsätzlich etwas anderes. Also mein Teil ist natürlich auch Menschen in die Kirche hineinzubegleiten, durch die Taufe, aber auch durch den Wiedereintritt. Also wenn du einmal überlegen solltest, wieder in die Kirche einzutreten, melde dich bei mir. Ich bin der Routinierteste. Ich habe 100 Wiedereintritte pro Jahr. Der nächstbeste Priester in Österreich hat nur 30 Wiedereintritte, das hilft mir bei manchen Dingen. Ich habe die Routine. Jetzt gleich nach dem Gespräch habe ich den nächsten Wiedereintritt, wir sind jetzt glaube ich bei der 20. in diesem Jahr.
Martin Moder: Super, da gibt es ein Ranking, damit man immer in der Online-Datenbank abrufen kann wer viele Wiedereintritte hat.
Toni Faber: Nein, das wird nicht per Datenbank geführt, sondern ist nur meine Neugierde und mein kleiner Stolz darüber.
Martin Moder: Ja, das ist eh cool, da können wir dann eh vielleicht gleich einmal abchecken, wo wir eigentlich so die Zuständigkeit unserer Fachgebiete sehen. Es heißt ja BAHÖ, da müssen wir ja schauen, wo wir diskutieren können. Also ich würde definieren... quasi die Aufgabe der Wissenschaft ist, Dinge genau zu untersuchen und die Welt möglichst gut zu verstehen, damit man dann auch handlungsfähig wird. Also wenn ich die Zelle gut verstehe und das Immunsystem gut verstehe, dann kann ich auf einmal Schutzimpfungen machen und auf einmal sterben nicht mehr Millionen Menschen an Pocken und Gebärmutterhalskrebs wird zurückgedrängt. Und im Idealfall nimmt man dann halt dieses Wissen... und wenn man moralisch gut orientiert ist, kann man es einsetzen, dass die Welt ein bisschen besser wird, mit ein bisschen weniger Leid. Das wäre so aus meiner Sicht die Aufgabenstellung der Wissenschaft. Wie würdest du die Aufgabenstellung der Religion definieren?
Toni Faber: Als Dienst am Leben. Ich hätte mir nicht genau gedacht, wie ich Priester geworden bin, dass ich wirklich mit dem ganzen Leben auch in meinem Dienst zu tun habe. Ich habe mir gedacht, ich bin halt dann für die braven katholischen, ein bisschen faderen Menschen zuständig. Aber macht nichts, das ist ja ein heiliger Dienst. Aber in Wirklichkeit diene dich dem Leben im Ganzen. Und ich habe von der Wiege bis zur Bahre mit den Menschen zu tun, mit den sich fromm Fühlenden oder mit den gar nicht fromm Fühlenden, mit denen, die ihr Leben auch wegwerfen, die sich selbst einfach nicht mehr mit Sinn konfrontiert fühlen, sondern sagen, sie wählen lieber den Freitod. Mit all dem habe ich zu tun, mit der Wirtschaft, mit der Politik, mit der Armut. Ich hätte mir nie gedacht, dass ich wirklich mit allen zu tun habe, dass die alle auch irgendwie einen Dienst brauchen und dort, wo die Lebenswenden da sind. Wenn geboren wird, wenn ein Ehepaar nach 21 Jahren warten, endlich ein Kind bekommt, nicht alles sozusagen technisch probiert haben, sondern vertraut haben, wenn Gott ihnen ein Kind schenken will, dann wird es einmal werden - und nach 21 Jahren war es soweit und sie haben es als Geschenk Gottes angenommen. Wenn die Kinder zur Erstkommunion gebracht werden, wenn die Jugendlichen sich selbst entscheiden, „ja“ zu diesem Glauben sozusagen mit 13, 14... Wenn sie einander in Liebe finden. Ich habe 50, 60 Pärchen, die ich jedes Jahr traue - solche, die katholisch sakramental heiraten wollen, solche, die ein zweites Mal es versuchen wollen, weil die erste Ehe gescheitert war, solche, die als homosexuelles, als lesbisches Paar kommen und den Segen brauchen, solche, die erst im Alter mit 80 Jahren neu heiraten wollen. Also bunt, sehr, sehr bunt. Und dann natürlich auch bei den Begräbnissen. Ich bin gerade in Tagen wo ich vorvorgestern einen 48-Jährigen in den Tod begleitet habe, weil die Ärzte gesagt haben, sie brauchen nur den Zeitpunkt zu wissen, wann Sie die Geräte abschalten können. Mit 48 mit Herzinfarkt und Schlaganfall schon gehen zu müssen. Am Tag darauf einen 63-jährigen Rechtsanwalt bei der Seelenmesse zu begleiten. Am Tag darauf wieder ein Begräbnis von einem 48-Jährigen vorzubereiten. Und dann zu wissen eine 62-jährige Mitarbeiterin liegt auch im Sterben, das ist schon sehr anfechtend einerseits. Aber andererseits sollen wir als Kirche hier Trost bieten. Einen ehrenden Nachruf und nicht verzweifeln anhand des überall hereinragenden Todes. Das heißt Feste feiern, aber auch angesichts der Herausforderung des Lebens suchen: Welchen Sinn kann ich trotzdem finden? Und da versuche ich wirklich ein guter Diener des Lebens zu sein.
Martin Moder: Das ist vielleicht eh der eine Punkt, wo ich sage: Da sehe ich als Atheist die Sinnhaftigkeit von Religion. Wo ich mir denke, die Wissenschaft kann viel, das Leben deutlich angenehmer gestalten und viele Tragödien abwenden. Aber sie hat jetzt keine Lösung für die ultimative Tragödie... dass wir alle sterben und dass der Prozess meistens nicht der angenehmste ist. Und wurscht, wie viel wir forschen, das steht allen bevor. Wo ich mir auch denke, wenn das auch in meinen Augen Mythen sind und Geschichten, die man sich erzählt. Wenn es Leuten quasi hilft, eine Tragödie ein bisschen besser wegzustecken oder sich darauf einzustellen, könnte man argumentieren, dass es zumindest psychisch rational ist, wenn auch nicht vielleicht faktisch richtig in meiner Wahrnehmung.
Toni Faber: Ich halte es da mit dem alten Kardinal König, der vor 20 Jahren gestorben ist und 99 Jahre fast alt geworden ist. Und der hat es immer heruntergebrochen auf folgenden Satz: „Der Mensch ist rettungslos Gottes sehnsüchtig und braucht Antworten auf die Lebensgrundfragen „woher komme ich?“, „wohin gehe ich, wohin bin ich unterwegs?" und „was gibt jetzt meinem Leben Sinn?“. Und diese Grundfragen treiben doch irgendwann einen jeden um. Da kann ich mich gar nicht so ablenken davon, gar nicht mit anderen Dingen - angesichts des Todes, des Leides, einer Trennung, einer lebensbedrohlichen Krankheit - bin ich doch vor diesen Fragen. „Woher komme ich?“, „wohin gehe ich?“, „was gibt jetzt meinem Lebens Sinn?“
Martin Moder: Wie würdest du, wenn du jemanden, der absolut überzeugter Atheist ist, sagen wir, und der merkt, es geht langsam auf den Tod zu, und du müsstest dieser Person irgendwie Zuversicht geben, ohne auf Gott zurückzugreifen. Hättest du da eine Idee, wie du da vorgehen würdest?
Toni Faber: Ja, ich würde bei der Basis beginnen. Unser menschlicher Zellstoffwandel, der sich ja laufend vollzieht, wie ich von den Wissenschaftlern gelernt habe... wahrscheinlich ist Zellstoffwandel nicht richtig - unsere Wandlung der Zellen, dass das, was uns ausmacht, unsere Identität - wir sagen religiös dazu Seele -  aber das, was uns als Persönlichkeit ausmacht, ist das Gleiche, das zwar angereichert ist mit Lebenserfahrung, aber nach fünf Jahren besteht ja sehr vieles von dem, was ich damals gehabt habe, durch ganz neue Zellen, die sich ja ausgewechselt haben. Aber meine DNA, meine Persönlichkeit bleibt doch gleich, auch wenn dieser Körper älter und älter wird und zerfällt einmal nach dem Tod. Das, was mich ausmacht, ist wo gut aufgehoben, darauf vertraue ich auch bei einem Atheisten. Das, was deine Persönlichkeit ausmacht, was du geliebt hast, was du erhofft hast, wofür du dankbar bist, was deine Persönlichkeit ausmacht, das bleibt. Und das ist ja faszinierend wissenschaftlich. Ich hoffe, du kannst mich nicht vom Gegenteil überzeugen, dass jeder von uns total einmalig ist. Wenn wir in die Augen schauen, wenn wir auf die Fingerabdrücke schauen, dass wir so einmalig sind, dass wir an eine Wiedergeburt in einem anderen Menschen oder gar in einer Sau oder in einem Tier gar nicht glauben können. Das gibt es doch nicht. Ich habe einmal eine Journalistin überzeugt: „Ja, ich denke, ich glaube an die Wiedergeburt“ - sage ich: „Aber nein, du bist so charmant, so exzellent, so einmalig, das kann doch gar nicht sein.“ „Na ja, wenn du so sagst, dann glaub ich doch nicht an die Wiedergeburt.“
Martin Moder:  Das ist aber kein sehr gefestigter Glaube muss man sagen. Ich habe mir immer gedacht, wenn ich wiedergeboren werden würde - glaube nicht, dass es so funktioniert, aber wenn es so wäre - ich wäre am liebsten ein Wurm. Ein Regenwurm. Weil ich glaube, das ist total entspannend auf so einer Ebene von Intellekt zu sein, dass du nichts hast außer Trieb und Impuls. Und halt nichts anderes machen musst außer dem nachzugehen. Und wenn du dem nachgehst, dann stellt sich eine gewisse Befriedigung ein. Du willst dich da durchbohren, dann bohrst du dich durch, dann ist es da hell, dann willst dorthin. Und das ist ja total sorgenfrei.
Toni Faber: Sorgenfrei. Aber schön, stelle ich mir ‘was anderes vor.
Martin Moder: Ich weiß nicht, wie sich ein Wurm fühlt, vielleicht ist das ganz angenehm in dem Gatsch oder so. Ich habe mir das oft gedacht. Ich denke ein Tier, das nicht so intellektuell ist, dass es jetzt diese delayed gratification, also das es jetzt irgendwie auf etwas verzichtet in der Gegenwart, damit es in Zukunft lässiger wird - das ist ja das, was alles so mühsam macht. Aber wenn man immer das machen kann, wo man sich denkt „das möchte ich jetzt“ und ich glaube, das ist so bei einem Wurm, das stelle ich mir eigentlich sehr lässig vor. Das wäre mir lieber als fliegen oder so, ein Vogel sein, der kann auch schon wieder zu viel denken.
Toni Faber: Ich träume vom Fliegen und ich träume davon, dass so ein Raum entstanden ist durch den Verzicht und den Einsatz von Tausenden von Menschen mit einem Plan, eines Architekten, ich möchte einen heiligen Raum im Herzen der Stadt aufspannen. Und da zum Staunen zu kommen, da muss sich der liebe Gott in der Natur schon ziemlich anstrengen, dass wir dieses Staunen zusammenbringen. Er hat sich angestrengt und das Himmelszelt ist natürlich fantastisch, das Sternenzelt ist fantastisch. Aber dass Menschen diese Sterne und das Himmelszelt nachbilden können in so einer gotischen Kathedrale, das ist schon faszinierend. Und die haben gebaut und haben gewusst: Ich werde es nicht mehr erleben, woran ich baue, sondern vielleicht meine Kinder, aber wahrscheinlich erst meine Kindeskinder. Also diese Kraft des Geistes auf Zukunft, auf delayed gratification aufzubauen, das gibt schon eine Grundgesinnung und eine Freude und eine Hochstimmung, die unvergleichlich ist zu dem, was ein Regenwurm fühlt. Obwohl ich es nicht genau weiß.
Martin Moder: Ja, ich weiß es auch nicht.

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Toni Faber: BAHÖ? Na so ein BAHÖ!

Martin Moder: Also meine Erfahrung... wie ich irgendwann begonnen habe, mich so ein bisschen mit der Bibel dann im Laufe meines, von der Religion Abkehrprozesses sage ich einmal - dass ich dann begonnen habe, mir ein bisschen genauer anzuschauen, was in dieser Bibel drinsteht. Es sind eh coole Geschichten. Aber meine Erwartungshaltung wär eigentlich gewesen, dass wenn jetzt meine Annahme ist, dass das wirklich so ist - da gibt es ein allwissendes, allmächtiges Wesen und das hat uns irgendwelche Texte hinterlassen, mehr oder weniger direkt oder indirekt - dass diese Texte so vollgepackt sein müssen von überwältigender Weisheit, dass sich mir denken würde, das ist quasi unmöglich, dass Menschen vor ein paar tausend Jahren zu solchen Erkenntnissen gekommen wären oder solche Geschichten sich ausgedacht haben. Aber ich habe jetzt sowas…
Toni Faber: Die hast du nicht gefunden…
Martin Moder: Ich habe das nicht gefunden. Für mich war das alles. 100 Prozent ohne Probleme damit in Einklang zu bringen, dass das halt Geschichten sind, die sich Leute vor sehr vielen Jahren erzählt haben. Mit denen man resoniert, die irgendwie eine positive Message haben. Und das war für mich so einer der Gründe, warum es mir irgendwie nicht wirklich leicht gefallen ist zu sagen: "Okay, dann bleibe ich dabei, ich glaube das ist wirklich von einer Gottheit." Ich habe halt nicht mehr Weisheit drin gesehen als ich zum Beispiel sehe, wenn ich die Texte von Marco Aurel lese. Und mein Gott, der war ein Kriegsherr letztlich.
Toni Faber: Also mir sind Leute schon untergekommen, die - aus welchen Gründen auch immer - in der Kindheit, in der Jugend die Religion abgelehnt haben und dann in dem Moment, wo sie bei der Autobushaltstelle eine vergessene Schulbibel gelesen haben und die ersten Geschichten dort gelesen haben, plötzlich gepackt worden sind und sich dann als Erwachsene taufen haben lassen. Das ist faszinierend, dass dieses Wort einen auch ergreifen kann, so wie wir im Hintergrund jetzt die Musik hören von der Orgel, die einen Gottesdienst einleitet. So kann man plötzlich gepackt werden und etwas faszinierend finden, und eine Lebenswende findet statt. Aber genauso jemand, der in die Musik hinein kippt, in die Literatur, in die Architektur, in die Medizin hineinkippt, in die Wissenschaft. Da gibt es ja oft einen Moment, wo ein Künstler entsteht. Mein Bruder selbst, der war gänzlich uninteressiert an all diesen Dingen und mit 23, 24 entdeckt er für sich die Fotografie, wird Landesmeister, Staatsmeister, wird künstlerischer Fotograf, seine Werke hängen in verschiedenen Museen. Faszinierend, dass so eine Lebenswende in einem Moment des Lebens möglich ist. Und so ist es auch im gläubigen Sinn.
Martin Moder: Ja, das finde ich auch interessant, dass es Leute gibt, die auf Religion stoßen und so denken: "Das ist genau, was ich in meinem Leben gebraucht habe." Und dann werden sie religiös. Und dann gibt es Leute, die starten religiös, dann lesen sie die religiösen Texte und werden dadurch zu Atheisten.
Toni Faber: Genau so. Alles ist möglich.

*Audiotrenner*

Toni Faber: BAHÖ? Na so ein BAHÖ!

Martin Moder: Ich sehe in meinem Leben keine Notwendigkeit für Religiosität. Aktuell. Was sicher auch dem geschuldet ist, dass mein Leben sehr angenehm ist. Also ich weiß nicht, wie ich Religion gegenüberstünde, wenn mein Leben jetzt geprägt wäre von großen Tragödien. Oder wenn ich jetzt in einem schlammigen Schützengraben sitzen würde, wartend, ob mir irgendwas auf den Kopf fällt oder meine Familie wegsprengt. Dann wäre wahrscheinlich das Bedürfnis ein anderes. Ich glaube, ich könnte dann noch immer nicht glauben. Also ich sehe jetzt nicht die Notwendigkeit, etwas Übernatürliches anzunehmen im Vertrauen, dass es Leute gut mit einem meinen. Ich meine, die Welt ist voller Katastrophen und es gibt genug Leute, die es nicht gut mit einem meinen. Aber ich sehe halt schon, dass die meisten Menschen bemüht sind, eigentlich, ihr eigenes Leben möglichst angenehm zu gestalten. Und das setzt halt irgendwo auch voraus, dass man nicht so unausstehlich ist, dass man auch das Leben der anderen ein bisschen angenehmer gestaltet.
Toni Faber: Du bist ein reflektierter Mensch, dir traue ich das sofort zu. Aber Menschen, die religiös veranlagt sind, die sagen dann, ich gehe in ein gewisses Trainingscamp. Jeden Sonntag oder dort, wo ich die Kirche aufsuche. Dort versuche ich durch Gebet, durch Meditation, durch Nachdenken etwas von diesem inneren Menschen zu erneuern. Nicht immer ist jede christliche Gemeinschaft, jede religiöse Gemeinschaft ein Bild dafür, dass sie das wirklich ernst meinen. Sehr oft ist das in der Oberflächlichkeit erschöpft. Und das wird zu einer ganz großen Scheinheiligkeit. Wenn Menschen nur ihr religiöses Bedürfnis irgendwie befriedigen und nicht in ihrem Leben, ihre Haltungen, ihre Werte... dann danach leben. Das stimmt. Aber für mich ist jedes Gebet ein Training. So wie ich versuche, ins Fitnessstudio zu gehen - leider nicht so viel wie du - aber es ist etwas von dem da, dass ich auch meine Seele, mein Wesen versuche zu trainieren, zu reflektieren. Ich möchte prinzipiell ein besserer Mensch werden, ich kenne jemanden, den André Heller - du kennst ihn auch - der sagt, wenn dir jemand zum Geburtstag gratuliert oder sagt: „Schön, dass du so bist, wie du bist. Bleib so wie du bist.“ Dann sagt der andere Heller: „Ich jage Ihnen meinen Anwalt auf den Hals, ich möchte nicht so bleiben, wie ich bin, ich möchte ja besser werden. Wünschen Sie mir nichts Schlechtes, ich möchte mich immer verbessern.“ Und darum bemühe ich mich auch sehr. Ich möchte ein Besserer werden, als ich bin. Wiewohl die Leute es gut meinen, wenn sie dir ein Kompliment machen. Aber ständiges Arbeiten daran, so wie meine Zelle sich ständig - meine Zellen sich ständig erneuern - so möchte ich auch im inneren Wesen reifer werden, gescheiter werden, besser werden.
Martin Moder: Ja, ich meine, das ist schon was, was man, glaube ich, Religionen zugutehalten muss, ist. Dass sie halt viele Sachen ritualisiert haben, die man sonst wahrscheinlich nicht machen würde.
Toni Faber: Vergessen würde.
Martin Moder: Also ich zum Beispiel, ich weiß noch, im Kindergarten haben wir immer vor dem Essen gebetet, dass bitte alle was zum Essen haben sollen. Und ich persönlich glaube nicht, dass das Gebet irgendwer hört. Ich glaube nicht, dass das dazu führt, dass jetzt irgendwo Essen erscheint, aber es ist doch ein in Erinnerung rufen, dass es Leute gibt, die gerade nichts zum Essen haben, dass man vielleicht das eigene Essen ein bisschen mehr wertschätzt.
Toni Faber: Dankbarer wird.
Martin Moder: Und dass man sich vielleicht auch Gedanken darum macht, wie schaffen wir das, dass die anderen auch was haben. Oder, keine Ahnung, wenn man in der Kirche steht und dann schütteln sich alle die Hand und wünschen sich einander Frieden. Ich glaube auch, dass das etwas Sinnvolles sein kann und es gibt halt wenig Säkulares, dass sowas ritualisiert hätte in meiner Wahrnehmung.
Toni Faber: Ja.

*Audiotrenner*

Toni Faber: BAHÖ? Na so ein BAHÖ!

Martin Moder: Ich finde das zum Teil sehr interessant, was da in der Kirche erzählt wird. Aber es ist mir immer ein bisschen schwer gefallen, dann dazustehen und quasi nachzusprechen: „Ich glaube an Gott, den Vater, den Allmächtigen und Jesus Christus, seinen Sohn." Wenn ich mir immer gedacht habe, ich glaube es ja eigentlich mittlerweile nicht mehr. Und da habe ich dann immer das Gefühl gehabt, super, jetzt stehe ich in der Kirche und lüge. Das ist ja eigentlich nicht das, was man machen sollte, und in der Kirche wahrscheinlich schon gar nicht. Also, ich habe mir oft gedacht, wenn man einfach sagen wird: „Schau mal, hier gibt es ein paar Geschichten, an denen haben Leute über Jahrtausende ihr Leben orientiert, ihre Moral ausgerichtet. Da können wir was draus lernen". Das würde mich zum Beispiel viel mehr ansprechen. Also, wenn man quasi den Gott aus der Religion rausstreicht, so blöd so klingt.
Toni Faber: Also für mich sind die religiösen Vollzüge nie ein nur Fürwahrhalten von bestimmten Sätzen oder bestimmten Glaubensinhalten, sondern immer ein Nachbuchstabieren, was kann für mich aus diesen biblischen Geschichten förderlich sein, was kann mich erheben, was kann mich weiterführen, was kann mich verbessern. Das heißt, jede biblische Geschichte ist für sich noch nicht der große Wert, wenn ich mich nicht dafür öffne, mich bewegen lassen und auf meine Weise diese biblische Geschichte auch nacherzähle. Ich denke mir, als Mensch hast du mit dem, was dir anvertraut worden ist in dieser Weltgeschichte, etwas gemacht, nicht nur für dich, dich entfaltet und entwickelt, sondern auch für andere etwas hinterlassen. Wenn jemand sagt, er glaubt an Gott, aber den nächsten nicht liebt, diese Gottesliebe ist wertlos.

*Audiotrenner*

Toni Faber: BAHÖ? Na so ein BAHÖ!

Toni Faber: Also ich bin einmal vor einem Lügendetektor gesessen und habe das ausprobiert, wie das ist. Ob das wirklich feststellbar ist, wissenschaftlich ein bisschen annähernd. Hast du nie daran gedacht, lieber einen anderen Beruf auszuüben als Pfarrer, weil du endlich doch Lust hättest, am Sonntag frei zu haben? Sage ich: „Nein, da hätte ich den falschen Beruf erwählt, wenn ich mir vornehme, am Sonntag grundsätzlich frei zu haben." Und da hat der Lügendetektor ausgeschlagen. Und warum war das so? Weil ich drei, vier Wochen vorher mit Freunden auf Urlaub war und wir am Sonntagvormittag in einem Kaffeehaus in Griechenland gesessen sind. Und die mich gefragt haben: „"Wie ist das Gefühl für dich, am Sonntagvormittag einmal nicht in der Kirche zu stehen? Taugt dir das nicht auch?" Und zum ersten Mal in meinem Leben, damals beim Kaffee in Griechenland am Sonntagvormittag habe ich mir gedacht: „Na eigentlich auch nicht schlecht." Und ich glaube, deswegen hat der Lügendetektor drei, vier Wochen später dann ausgeschlagen. Nein, ich habe mich damit abgefunden, dass ich am Sonntag gerne arbeite und dann und wann, wo ich frei habe, nütze ich das, um in die Natur zu gehen, zu sporteln, etwas kulturell zu genießen, etwas von dem zu erfahren, was Schöpfung sonst auch zu bieten hat. Also für mich ist der Sonntag schon ein Zäsurpunkt in jeder Woche und ich wäre etwas unrund, wenn ich am Sonntag nicht die Gelegenheit habe, mich vor Gott zu sammeln und danke zu sagen und stellvertretend für die vielen, vielen anderen, die in den Kirchen sind.
Martin Moder: Ihr seid ja eh top ausgestattet, also du kannst sicher von Griechenland die Messe auch live streamen.
Toni Faber: Genau, inzwischen schon.
Martin Moder: Ein guter Kompromiss.

*Audiotrenner*

Toni Faber: BAHÖ? Na so ein BAHÖ!

Martin Moder: Wien macht außerordentlich gute Forschung. Österreich allgemein eigentlich. Also wir haben super Institute, das Institut für Molekulare Biotechnologie, das Zentrum für molekulare Medizin. Das IST oder ISTA, glaube ich, heißt es jetzt. Also kann man gar nichts sagen. In Österreich ist das Ansehen der Forschung in der Bevölkerung auffällig negativ im Vergleich zu anderen EU-Ländern. Aber die Forschung selber, die betrieben wird, ist eigentlich - also zumindest in einigen Bereichen - exzellent.
Toni Faber: Toll. Davon bin ich auch überzeugt und da fühle ich mich in Wien auch gut aufgehoben als eine Stadt der Forschung, nicht nur als eine Stadt der Musik, nicht nur eine Stadt der Kultur. Eine Stadt, die ein Herz, ein pulsierendes hat, und das ist der Stephansdom. Und dieses pulsierende Herz erfüllt, glaube ich, alle Wiener fernab ihrer konfessionellen Ausrichtung mit Stolz. Ich habe noch keinen Wiener, keine Wienerin gefunden, sei du bitte nicht der Erste, der sagt, der Stephansdom gehört nicht zu Wien. Also ein echter Wiener muss irgendwie was Wienerisches können und jeder Ausländer, der nach Wien kommt und dann zum Wiener wird, weiß zumindest ein paar Wiener Ausdrücke, ein paar kräftige Ausdrücke. Ob es ein „Bahö“ ist oder „Wüst an Wickel hom?“ oder willst du wirklich „a Haße“ essen, „a Burenhäutl“ am Würstelstand? Da gibt es schon ein paar Dinge, die unbedingt dazu gehören. Es gehört das Granteln dazu. Ein Wiener, der nicht wirklich auch granteln kann, ist kein ganz echter Wiener. Ein Wiener, der nicht wirklich ein bisschen morbid ist, gehört auch nicht ganz dazu. Die Todeskultur und vieles von dem, wofür wir sehr dankbar sind.
Martin Moder: Ich glaube, es gibt viel, dass man den Wienern nachsagt. Und ich glaube, viel davon ist einfach Marketing, weil das nach außen hin sehr, sehr lustig wirkt, wenn man sie erwartet: Die sind dann alles so unfreundlich, dass sie schon wieder lustig sind. Die sind alle so makaber. Und ich glaube, das zeigen wir sehr gern nach außen, ich weiß nicht, ob das so sehr die Realität widerspiegelt.

*Audiotrenner*

Toni Faber: BAHÖ? Na so ein BAHÖ!

Toni Faber: Es gibt einen Kolumnisten im Standard, der einmal geschrieben hat: „Passt es nur auf, wenn Toni Faber in der Nähe ist. Wer sich bei 1, 2, 3 nicht auf die Bäume flüchtet, läuft Gefahr, gesegnet zu werden von Toni Faber. Also wenn mir nichts Ärgeres passiert und nichts Ärgeres vorgeworfen wird, als einmal zu viel zu segnen, da bin ich auf der sehr grünen Seite des Lebens.
Martin Moder: Das ist eh super, wenn es keine Obergrenze gibt beim Segnen. Dass man sagt, man kann nur drei auf einmal segnen oder so, dann ist es eigentlich eh gut, wenn man immer eine maximale Anzahl von Leuten auf einmal einstellen kann. Wäre sonst unnötige Arbeit, jeden einzeln zu segnen. Ja, wer den Podcast abonniert und teilt, der bekommt offiziell von mir auch den Segen. Ich weiß nicht, ob der gilt, aber das ist mein Versprechen. 
Toni Faber: Sehr gut Martin, dass du auch den Segen gibst. Ich glaube, wir sind alle berufen, den Segen zu empfangen, damit wir Füreinander zum Segen wird. Teilt den Podcast und damit könnt ihr auch anderen Sinn stiften. Alles Gute!
Martin Moder: Tschüss. Nice!

*Audiotrenner*
Martin Moder: Aussprechen ist Beichte. Machen das noch viele Leute?
Toni Faber: Genau aussprechen, kommen zu uns wirklich von 07:00 Uhr Früh bis 10:00 Uhr abends Leute. Ich habe den Dienst die ganze Woche, 365 Tage im Jahr, von 07:00 Uhr Früh bis 10:00 Uhr abends.
Martin Moder: Na prack. Wenn dann die Mikrofone aus sind, da komme ich gleich vorbei, das ist eh ziemlich überfällig. Da hast du halt keinen Dienstschluss.
Toni Faber: *lacht*

Stephansdom

Stephansplatz
1010 Wien
  • Öffnungszeiten

    • Mo - Sa, 06:00 - 22:00
    • So, 07:00 - 22:00
    • feiertags, 07:00 - 22:00
  • Führungen

    • Domführung, täglich

      • 15:30 Uhr, ca. 30 Minuten

      Domführung Englisch, Montag - Samstag

      • 10.30 Uhr, ca. 30 Minuten

      Katakombenführung, halb- oder viertelstündlich

      • Montag - Samstag, 10 - 11.30 Uhr
      • Montag - Samstag, 13.30 - 16.30 Uhr
      • Sonn- und Feiertag, 13.30 - 16.30 Uhr

      Aufzug zur Pummerin

      • Januar - März, 9 - 17.30 Uhr
      • April - Dezember, 9 - 20.30 Uhr 

      Turmbesichtigung "Südturm"

      • täglich, 9 - 19 Uhr

      Abendführung mit Dachrundgang

  • Barrierefreiheit

    • Haupteingang
      • stufenlos (Doppelschwingtüre 120 cm breit)
    • Nebeneingang
      • 3 Stufen (Doppelschwingtüre 90 cm breit)
    • Weitere Informationen
      • Blindenhunde erlaubt
    • Anmerkungen

      Nordturm: nur mit Lift (Türbreite: 65 cm) sowie 12 Stufen (nicht mit dem Rollstuhl möglich), Südturm: 343 Stufen (nicht mit dem Rollstuhl möglich), nächstgelegener Behinderten-Parkplatz: Singerstraße.

      Abendführungen mit Dachrundgang sowie Katakombenführungen nicht mit Rollstuhl möglich.


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